Titulus Sog. Augsburger Siegesaltar

AE 1993, 1231. Sog. ‚Augsburger Siegesaltar‘. Gipsabguss der Vorderseite eines römischen Weihealtares mit Inschrift. Aufbewahrungsort (des Originals): Museum der Stadt Augsburg Inv. Lap. 1200.

Text der Inschrift:

In h(onorem) d(omus) d(ivinae)

Deae sanctae Victoriae.

Ob barbaros gentis Semnonum

sive Iouthungorum die

VIII et VII Kal(endas) Maiar(um) caesos

fugatosque a militibus prov(inciae)

Raetiae sed et Germanicianis

itemque popularibus, excussis

multis milibus Italorum captivor(um),

compos votorum suorum

[[M(arcus) Simplicinius Genialis, v(ir) p(erfectissimus), a(gens) v(ice) p(raesidis),]]

[[cum eodem exercitu]]

libens merito posuit.

Dedicata III Idus Septemb(rium), Imp(eratore) d(omino) n(ostro)

[[Postumo Au]]g(usto) et [[Honoratiano co(n)s(ulibus)]]

 

Übersetzung der Inschrift:

Zu Ehren des göttlichen Kaiserhauses

der Siegesgöttin Victoria geweiht.

Weil die Barbaren vom Stamm der Semnonen

bzw. der Iuthungen

am 24. und 25. April [des Jahres 260 n. Chr.] niedergemacht

und in die Flucht geschlagen worden sind von den Soldaten der Provinz

Raetia, aber auch von den Germaniciani [vermutlich Truppen aus der Nachbarprovinz Germania superior]

sowie von einer Gruppe von populares [wohl einer Art Bürgermiliz], wobei

viele tausend Gefangene aus Italien befreit wurden,

haben eingedenk ihrer Gelübde

[[(später ausgemeißelt:) Marcus Simplicinius Genialis, vir perfectissimus, handelnd an Stelle des Statthalters,]]

[[und dasselbe Heer]]

gerne und mit Recht (diesen Altar) aufgestellt.

Eingeweiht (wurde dieser) am 11. September des Jahres, als der Imperator, unser Herr,

[[(später ausgemeißelt:) der Kaiser Postumus]] sowie [[Honoratianus Konsuln waren (= 260 n.Chr.)]].

Im Jahr 1992 wurde ein Stein aus dem Kiesbett des Flusses Lech in Augsburg gebaggert, der sich bei näherem Hinsehen als Sensationsfund erwies. Es handelte sich nämlich laut der Inschrift auf der Vorderseite um einen römischen Altar für die Siegesgöttin Victoria, der im Jahr 260 n. Chr. von dem Statthalter der Provinz Raetia aus Anlass eines großen militärischen Erfolges errichtet worden war: Die römischen Truppen hatten ein halbes Jahr früher in einer zweitägigen Schlacht einen Verband von germanischen Invasoren, welche zuvor bis nach Norditalien vorgedrungen waren und sich mit ihrer Beute bereits auf dem Rückweg befanden, besiegt und dabei „Tausende von Gefangenen“ befreit. Dieses wichtige Ereignis der sog. ‚Reichskrise des 3. Jhs.‘ war vor der Auffindung des Steines gänzlich unbekannt, was wiederum zeigt, wie ein einziger Neufund unser Wissen verändern kann.

Für die Anbringung der Siegesinschrift ist ein früherer Altar wiederverwendet worden – wohl nicht zuletzt aufgrund der beiden Reliefs auf den Seiten des Steines, welche die Siegesgöttin Victoria und den Kriegsgott Mars zeigten. Diese blieben bei der Wiederverwendung des Altars unversehrt, während die ursprüngliche Inschrift auf der Vorderseite komplett ausgemeißelt wurde, um Platz für den neuen Text zu schaffen. Auch nach der Aufstellung des Siegesaltares blieb dieser nicht von weiteren Eingriffen verschont, denn aufgrund von Veränderungen in der politischen Situation wurden zweimal Teile der Inschriften zerstört, indem man einzelne Zeilen ausmeißelte. Das geschah jedoch so oberflächlich, dass der eradierte Text noch lesbar ist: Beseitigt wurden die Namen des Gegenkaisers Postumus (des Begründers des ‚Gallischen Sonderreiches‘, dem sich auch die Provinz Raetien kurzzeitig angeschlossen hatte) sowie des aus Sicht der Zentralregierung abtrünnigen Statthalters. Nach der Rückgewinnung von Raetia für den regulären Herrscher Gallienus man wollte hierdurch die Erinnerung an die nunmehr missliebigen Persönlichkeiten löschen.

Text: Prof. Dr. Christian Witschel