Titulus Schatzhaus der Athener in Delphi

Delphi, Schatzhaus der Athener. Das Schatzhaus der Athener im Apollon-Heiligtum von Delphi diente zur Aufbewahrung von athenischen Weihgeschenken. Es lag an dem Weg, der zum Altar und Tempel des Apollon hinaufführte. Die genaue Datierung des aus parischen Marmor errichteten und mit spätarchaischem Bildschmuck ausgestatteten Schatzhauses (griech. Thesauros) ist in der Forschung umstritten. Anhand von Stil- und Architekturvergleichen wird im Allgemeinen angenommen, dass es in der Zeit zwischen 510 und 480 v. Chr. erbaut wurde.

Nach Pausanias 10,11,5 wurde das Schatzhaus der Athener aus der Kriegsbeute errichtet, die ihnen nach der siegreichen Schlacht von Marathon (490 v. Chr.) gegen die Perser in die Hände fiel. Stil- und architekturgeschichtliche Gründe sprechen jedoch dafür, dass der Bau noch im 6. Jh. v. Chr. begonnen wurde. Möglicherweise beruht Pausanias’ Verknüpfung mit der Schlacht von Marathon auf einem Missverständnis. Denn auf der Terrasse südlich unterhalb des Schatzhauses befindet sich die Basis für ein Weihgeschenk, das die Athener, wie eine Inschrift verrät, dem Apollon aus der Perserbeute von Marathon gestiftet haben. Pausanias hat diese Inschrift wahrscheinlich fälschlicherweise auch auf das Schatzhaus bezogen. Auf den Metopen tritt der attische Held Theseus auf demonstrative Weise neben den dorischen Heros Herakles. Doch nicht nur durch den Figurenschmuck und das Darstellungsprogramm, sondern auch durch die Lage an der Kreuzung der Wege hinauf zum Altar und zum Tempel, durch das beste und kostbarste Material (parischer Marmor), die Bearbeitungsqualität und die Architekturform stellen die Athener ihre neuen Ambitionen nach Etablierung der Isonomie einem panhellenischen Publikum unübersehbar vor Augen. In die Wände des Schatzhauses, v. a. auf der Süd- und auf der Ostseite, wurden seit dem 3. Jh. v. Chr. zahlreiche Inschriften eingemeißelt, davon die meisten mit einem direkten Bezug zu Athen. Delphische Ehreninschriften für Athener befinden sich ebenso darunter wie lange Namenslisten, die die Teilnehmer von vier Pythaïden (137, 127, 105 und 97 v. Chr.) in ihren jeweiligen Funktionen festhielten. Die Pythaïden waren eine mehrere Hundert Personen umfassenden Prozession von Athen nach Delphi, die in einem von Chorgesängen begleiteten Opfer im Apollon-Heiligtum von Delphi gipfelte. Auch Hymnen an Apollon, die bei dieser Gelegenheit vorgetragen wurden, ließen die Athener auf ihrem Schatzhaus eingravieren, und zwar sogar mit musikalischen Notierungen (was einzigartig in der Überlieferung ist). In augusteischer und domitianischer Zeit wurden auch die Teilnehmer der Dodekaïden, die viel weniger (7–9) Personen umfassten und ein bestimmtes Opfer im Namen von Athen darbrachten, auf der Südwand des Schatzhauses eingemeißelt. Edition der Inschrift auf der Marathon-Basis mit englischer Übersetzung und Kommentar in AIO, deutsche Übersetzung in IG-Online. Vgl. außerdem weitere Inschriften mit Bezug auf die Pythaïden und Dodekaïden, v. a. Teilnehmer- und Siegerlisten, in AIO (Links s. u.).

Text: Prof. Dr. Kai Trampedach